Im
Jahre 1563 wurde in Kroppenstedt ein Vertrag für den Bau einer
neuen Orgel mit dem Orgelbauer Johannes Thomas aus Braunschweig
abgeschlossen. Die Orgel sollte neun Register und 6 Bälge
erhalten. Als geplante Register wurden genannt:
Prinzipal
Ovtava
Superoctava
Quinta
Mixtur
Zimbel
Gedackt
Regal
Bass
Auch ein Tremulant ("Bebende") war geplant. Mit der Formulierung "das
Corpus bleibt vor sich stehendt" ist wohl gemeint, dass der alte Prospekt
erhalten bleiben sollte. Als Preis wurden 140 Taler vereinbart, dazu freie
Kost und Logis für den Orgelbauer beim Aufstellen der Orgel in der Kirche.
Dieser Orgelbau ist jedoch aus unbekannten Gründen unterblieben. (10)
In diesen Jahren war die Erweiterung des Kirchengebäudes in Kroppenstedt
in vollem Gange.
Im Zusammenhang mit der Reformation war damals das Interesse an der Kirchenmusik
und besonders an der Orgel derartig gestiegen, dass der Kroppenstedter Stadtrat
bei der Realisierung des Orgelbaues nicht nachstehen wollte.
Vermutlich 1601 fand man in Barthel Schwertfeger aus Einbeck einen neuen Orgelbauer.
Dieser hielt aber verschiedene Zusagen nicht ein, so dass die Fuhrleute oftmals
vergeblich angereist waren, um die vereinbarten Fuhrdienste zu leisten. Förmlich,
aber doch mit dem Ton der Verbitterung, kündigte ihm schließlich
der Stadtrat 1603 den Auftrag. (11)
Die Kroppenstedter Stadtrechnung von 1603/04 vermerkt: "18 g(roschen)
Heinrichen Beddeker Bothenlohn nach Goßlar wegen des Orgelmachers den
16, Juny". Schwertfeger war damals also vermutlich mit einem Orgelauftrag
in Goslar gebunden. So kam es in Kroppenstedt nicht zur Ausführung des
vorgesehenen Planes, über die es in einer Notiz heißt:
"Nachfolgende Stimmen will der Orgelmacher M. (Meister) Barthel
Schwertfeger ins Rückpositiff machen...
1. praestanten von 4 Fußen
2. Octaven
3. Quinte
4. Ein grob Verdeckt von 8 Fußen
5. Spitzpfeiffen
6. Ein Klein Gedackte
7. Trommeten
8. Regall
Weil auch die Trommeten und Regallstimmen aus dem großen Werck, so (....unleserlich)
verdinget, genommen worden, alß (also) wil der Meister vor solche zwei
Stimmen herwiederumb in das große Werk machen (...unleserlich) und ein
Untersatz von 16 Fußen".
Möglicherweise war geplant, das alte Orgelwerk als Hauptwerk bestehen
zu lassen; dazu sollte wohl ein neues Rückpositiv gebaut werden, in das
Schwertfeger folgende Register hätte stellen sollen:
Grobgedackt 8´
Spitzpfeife 8 oder 4´
Prästant 4´
Kleingedackt 4´
Oktave 2´
Quinte 2 2/3´ oder 1 1/3´
In das Hauptwerk hätten anscheinend eine neue Trompete 8´und ein
neues Regal 8´ (oder 4´) eingebaut werden sollen, und ins Pedal
ein neuer Untersatz 16´. (12)
Auf der Außenseite des Kündigungsschreibens des Stadtrates an Schwertfeger
ist vermerkt: "14. Juny abgangen wie mit Cumpenio d. Orgelarbeit halben
am H(eiligen) Pfingstabent geschlossen".
Vermutlich waren es mehrere Umstände, die Esaias Compenius d. Ä.
zum Zuge kommen ließen: Sein Interesse am Orgelbau in Kroppenstedt dürfte
den immer mehr in Erklärungsnot geratenen Stadtrat wohl gefallen haben,
denn Esaias Compenius gehörte einer berühmten Orgelbauerfamilie an,
was dem auf Ruhm bedachten Stadtrat sehr gefallen haben dürfte. Außerdem
hat der "allseits bekannte, kunstreiche, des Wortes mächtige" Compenius
die Erlangung des Auftrages geschickt eingefädelt. Denn mit einem Schreiben
am "Freitag nach der Himmelfahrt Christi" 1603 kündigte er dem
Domkapitel zu Halberstadt sein Begehr an:
"Hoch- und Ehrwürdige, Edle und Großgünstige, Gnedige
Herren: (...) Wenn ich denn wahrhafft berichtet worden, daß alhier
im löblichen Stifft Halberstadt ein Erbar Raht zu Kroppenstedt ein neues
Orgelwergk erbauen zu lassen gemeinet, (...) ich solcher Arbeit grose Beliebung
zu verfertigen tragen tuhe. Also gelangt an Euer G. und Ehrw(ürdige)
mein gantz underdienstliches pitten (...), mich weiter in Gnaden zu befördern
und mit einer Vorschrift an einen Erbarn Radt zu Kroppenstedt großgönstig
versehen zu lassen, daß meiner wenigen Person eine neue Orgelarbeit
möchte vertrauet werden (...).
Euer G(naden) und Ehr(würden) underdienstlicher Esaias Cumpenius, Bürger,
Orgel- und Instrumentenmacher in der Altenstadt Magdeburg".
Das Halberstädter Domkapitel und der Domstift-Senior Joachim Johann Georg
von der Schulenburg setzten sich daraufhin beim Stadrat in Kroppenstedt am
Sonntag Exaudi 1603 für Esaias Compenius mit folgendem Schreiben ein:
"Unsern gnedigen und geneigten Willen zuvor, Erbare und vorsichtige
liebe Getreue. Welcher gestalts wir von dem Erbarn und kunstreiche Esaias
Compenio (...) wegen Eures vorhabenden neuen Orgelwerks ganz underdienstlich
ersuchet und angefallen", daher dem "Supplicanten (Antragsteller)
umb dieser unser Vorbitt willen, vor anderen solch Orgelwerk
vor billiche Gebühr zur prob zu gönnen und (an)zuvertrauen".
Der Domdechant verschweigt in seiner Empfehlung nicht den Hinweis: "daß Ihr
albereit von einem andern über die Gebühr fast einanderthalb Jahr
damit sollet uffgehalten worden sein".
Ebenso dürfte der Kroppenstedter Stadtrat das Schreiben des fürstlichen
Cammer-Secretarius und Domdechanten Christoph von der Lippa vom 17. Juni 1603
schmeichelnd in Empfang genommen haben. Der wies unter anderem auf die gut
gelungene Orgelrenovierung im Schloss Gröningen durch Compenius hin und
schrieb, dass ihm "des Compenii Kunst und Geschicklichkeit sehr hochlich
gerühmet, wie er dasselbe in der Thadt an etzlichen Orten bewiesen" habe.
Er richtete deshalb an die Ratsherren die freundliche Bitte: "Ihr
wollt umb meinet willen dem gerühmten Compenio solche Arbeit vor allen
anderen zu verfertigen verstatten, denn er werde mit getreuem Vleiß solch
werkg ausführen".
Baubeginn
und erste Verzögerung (1603-04)
Auf Grund der günstigen Empfehlungen setzte sich der Stadtrat von Kroppenstedt
mit Esaias Compenius zügig in Verbindung und führte entsprechende
Verhandlungen.
Bereits am 20. Juni 1603 wurde "in beysein vornehmer und guter Leute" schriftlich
mit dem "Erbarn (ehrbaren) und kunstreichen Jesaias Compenio, Orgel und
Instrumentenmacher aus Magdeburg, wegen eines neuen Orgelwerks in unseren Kirch
St. Martini hierselbst ein crefftig und beständig Geding aufgerichtet
und folgend gestalt zu verfertigen einig geworden". In diesem "Geding" wurde
unter anderem die Klanggestalt mit 21 Registern im Hauptwerk ("Oberwerk"),
Rückpositiv und Pedal festgelegt. Auch wurde vereinbart, dass der Orgelbauer "Structur
und Gehäuse gar von Neuem zu machen" habe.
Als Bezahlung für das Hauptwerk sollte Compenius 200 Taler, für das
Rückpositiv 50 und für den Aufbau in der Kirche und das Stimmen noch
einmal 40 Taler von der Stadt erhalten, außerdem "frei Essen und
Trinken" während der Orgelaufstellung. Die Gehilfen hatte Compenius
selbst zu entlöhnen. Später auftretende Mängel sollte der Orgelbauer
auf eigene Kosten beseitigen.
Esaias Compenius legte am 23. Juni 1603 auf Wunsch des Stadtrats von Kroppenstedt
den Vertrag zur Prüfung dem Domstift-Senior Joachim Johann Georg von der
Schulenburg in Halberstadt vor, und bereits am nächsten Tag teilte von
der Schulenberg dem Stadtrat schriftlich mit, es gebe gegen die vorgelegte
Vereinbarung über den Orgelbau in Kroppenstedt "keine Bedenken".
Gleichzeitig entschuldigte er das Fernbleiben von Compenius in Kroppenstedt
und begründet dies so:
"Es hat sich heutigs Tages M. (Meister) Esaias Compenius zu Euch
verfügen wollen. Weil er aber mir etztliche (einige) Arbeit noch verfertigen
müssen, ich auch ihn davon nicht habe laßen können, habe
ich Euch solches notifiiciren (mitteilen) wollen, damit die Schuld nicht
möchte diskutirt werden".
Am gleichen Tag schrieb auch Compenius einige Zeilen der Entschuldigung an
den Stadtrat:
" Wiewohl ich gerne genommenen Abschied zur folge, diesen Tag bey
Euch gewesen, die Wagen geladen und uff den Weg gemacht haben, so fällt
doch ein Hindernis, als Herr Schulenburg in beygefügtem Schreiben gedenken
wird, vor, daß es mit der Fuhrladung bis auf den nächsten Sonntagk
verbleiben muß, Gelangt demnach an die Herrn einen Erbarn Raht, mein
dienstliches bitten, dieses keinen ungefallen zu schöpffen, sondern
biß genannten Sonntagk friedtlichen Zusein".
Gleichzeitig kündigte Compenius dem Stadtrat im Schreiben an, dass "der
Zimmermann, so das Orgel-Fundament fertigen soll, morgen zu abend alda sein
möge, so will ich ihm daßelbige aufreyßen (aufzeichnen)".
Compenius hatte vor, die Orgel in seiner Werkstatt in Magdeburg zu bauen. Der
Rat der Stadt drängte jedoch darauf, dass der Bau in Kroppenstedt erfolgen
solle; man wolle ihm hier eine Werkstatt einrichten, also ihm "eine
bequeme Gelegenheit und was sonsten noch darzu nötig sein wird, anschaffen,
daß er damit friedlich sein soll".
Diese im Kontrakt nicht vorgesehene Leistung wurde kritisch beäugt. Deshalb
wandte sich der Stadtrat am 25. Juni wegen dieser Frage schriftlich an den
Domstift-Senior.
Man einigte sich schließlich, dass die Orgel in der Werkstatt des Esaias
Compenius in Magdeburg gebaut werden könne, weil dort die benötigten
Materialien leichter heranzuschaffen seien; Compenius aber müsse das gesamte
Material, das der Stadtrat selbst "verschaffen und zahlen" wollte, "Stück
für Stück bey seinem Christlichen Gewissen was jedes kostet" genau
angeben, also "Leder, Bley, Zinnen, Leim, Eisen, Messing, Draht, Holz
und anderes mehr". Weiter heißt es: "Es hat auch ein
Erbar Radt (der ehrbare Rat) gewilliget, wenn er (Compenius) das Werk setzen
wird, daß ihm und seinen Gesellen die Zeit über frei Essen und Trinken
notdürftigerweise soll verschaffet werden".
Um sicher zu gehen, dass man mit Esaias Compenius auch den richtigen Orgelbauer
verpflichtet hatte, erkundigte sich der Kroppenstedter Stadtrat in Hettstedt über
ihn. (13)
Dort hatten Esaias Compenius und sein Vater 1589 die Orgel renoviert und ein
neues Rückpositiv gebaut. Im Antwortschreiben wurde unter anderem folgendes
mitgeteilt: "Das Rückpositiv betreffend, ist neu gemacht, berichtet
unser Organist; wie es auch anders nicht ist, daß das Pfeifenwerk darinnen
gut, wohl fleißig genug gemacht, also dazu nichts zu tadeln ist. In der
Laden aber nicht wenig Defekt und Mängel befunden worden. Welches unsers
Erachtens daher geziehet, daß der Vater und Sohn nicht einig gewesen.
Sintemal der alte Compenius (...) seinem Sohn die Arbeit allein alles uf dem
Halse gelassen". Darüber sei Esaias "verdrossen worden" und
habe die Arbeiten den Gesellen überlassen, die aber durch ihren "Unfleiß" den
Fortgang verzögert und keine sorgfältiger Arbeit geliefert hätten.
Der Grund für die Uneinigkeit zwischen Vater und Sohn in Hettstedt war
vermutlich der, dass Heinrich Compenius an der alten Springlade festhalten
wollte, die dort auch gebaut wurde, während Esaias gern eine moderne Schleiflade
verwendet hätte.
Auch aus Dönstedt erbat sich der Kroppenstedter Stadtrat eine Beurteilung
des Orgelbauers. Von dort wurde am 14. Juli 1603 in einem Brief berichtet,
Compenius habe sich nach Vertragsabschluss zwei Jahre überhaupt nicht
blicken lassen, obwohl er bereits Geld erhalten habe, "wie lose, leichtfertige
undt verlogene Leute pflegen zu thun". Deshalb gehe man nun gerichtlich
gegen ihn vor.
Der Bürgermeister Burckard Sonnenberg und der Stadtrat von Kroppenstedt
gaben aber diesen beiden Schreiben wohl keine größere Bedeutung.
Denn die Stadtrechnung für das Jahr 1603/04 belegt, daß der Orgelbau
in Kroppenstedt schnell und zügig seinen Anfang genommen hatte. Vom 17.
Juni bis 5. Juli 1603 wurde der "Orgelmacher" von Bürgermeister
Sonnenberg versorgt, wofür Sonnenberg 12 Mahlzeiten aus der Stadtkasse
entschädigt bekam. Auch war man sich mit dem Zimmermann Meister Carsten
und dem Meister Marten Müller, dem Mauer, über Arbeiten für
die Orgel einig geworden: Während der eine bereits die ersten Bretter
für die neue Orgel im Spielhaus der Stadt zuschnitt, brach der andere
am 6. Juli 1603 die alte Orgel ab.
Gleichzeitig wurde etliches Material auf Kosten der Stadt eingekauft:
am 28. Juni Zinn in Magdeburg, am 12. Juli Leim in Halberstadt, am 22. Juli
für 17 ½ Taler sieben "Centner Bley". Am Schluß waren
es insgesamt über 22 Zentner Zinn und Blei, die verarbeitet wurden. Außerdem
erfolgten immer wieder Holzkäufe, wobei Buxbaum, schwarzes Holz, ein Lindenbrett,
vier Stück Bottichholz aus Magdeburg und Eichenholz und –bohlen
aus verschiedenen Ortschaften, so u. a. aus Warsleben, Eilsdorf oder Dingelstedt
geholt wurden. In Halberstadt kaufte man "Wißmündte" (?),
Terpetin, Baumöl, Gummi-Arabicum, Gelbwachs, Rindsfarbe und Bockin-Talk.
Das Hammelleder für die Orgel kam aus Quedlinburg vom Gerber Lorenz Leibreich.
Ende August 1603 war das Fundament des Orgelwerks errichtet. Vier Taler erhielten
die Zimmerleute aus Halberstadt, wovon außerdem jeder "den Tagk
8 g(roschen) ½ bier zu lohne gelobet" bekam. Am 10. September 1603
war bereits das untere Stockwerk ("der Stuhl") der Orgel fertig.
Die verschiedenen Nägel, Listennägel, lange Nägel und Brettnägel
fertigte der Schmid Meister Andreß. Mitte September wurden für 60
Taler drei Zentner Altenburger Zinn in Magdeburg gekauft, ebenso schaffte man
den ersten Kalk für den Kalkbrenner in die Kirche. Die Summe aller Ausgaben
betrug bis dahin 196 Taler 15 g(roschen) und 7 d(enar).
Schließlich kamen am 3. Oktober 1603 auch noch 4 Groschen Wegegeld für
Lüddecke Langen zur Auszahlung, weil er "des Orgelmachers seine fraue
hergeholett" hatte. An persönlichem Endgelt zahlte die Stadt dem
Orgelbauer
bis Ende Dezember 1603 fast an die hundert Taler. Selbst als seine Gesellen
zur "Hochzeit gangen am 5. Dezember", übernahm die Stadt die
Kosten von 6 Talern.
Am 9. Dezember 1603 war das ganze Orgelgehäuse aufgerichtet. Nun ließ aber
der Arbeitseifer von Compenius für das Kroppenstedter Vorhaben merklich
nach. Thekla Schneider meint wohl zu Recht, dass "Esaias als Orgelmacher
sehr begehrt war und von einem Auftrag zum andern gehetzt wurde. Kaum hatte
er begonnen, die Platten für die Pfeifen der Kroppenstedter Orgel zu gießen,
da wurde er vom Fürsten Heinrich Julius nach Gröningen gerufen, um
dort das große Orgelwerk zu erneuern. Überdies hatte er noch einige
Aufträge vom Halberstädter Domkapitel erhalten. Inzwischen war ihm
auch der Bau der Sudenburger Orgel angeboten worden, den er sofort angenommen
hatte".
Der Kroppenstedter Stadtrat wurde ungeduldig und beschwerte sich Ende 1603
bei Compenius. Weil aber diese Beschwerde keinen Erfolg hatte, wandte man sich
an den Domstift-Senior Joachim Johann Georg von der Schulenburg mit der Bitte,
er möge "den Meister zur ferfertigung des Wercks ernstlich ermahnen".
Der Domstift-Senior antworte dem Stadtrat umgehend am 1. Januar 1604: "Erbare
und weyse, günstige, gute Freunde. Euer Schreiben beneben (neben) der
Einlage ist mir wol zuhänden gekommen." Er wundere sich darüber,
dass Compenius "sich solches understehet, da er doch einzig und alleine
durch meine Beförderung dazu kommen". Außerdem habe man
ihm die Reparatur der Gröninger Orgel übergeben. Wenn Compenius nicht
wieder mit der Arbeit in Kroppenstedt beginne, könne er "durch Zwangsmittel
leichtlich dahin compelliret (gezwungen) und angehalten werden, daß er
seiner Zusage genügen thuen, mit dem Werk forteilen und daßselbige
verfertigen müsse".
Daraufhin ergriff der Stadtrat die vorgeschlagenen Zwangsmaßnahmen und
setzte den Orgelbauer Anfang 1604 für kurze Zeit in einer Zelle des Rathauses
in Haft, um ihn zur Arbeit zu zwingen. Compenius nannte diese Verhaftung später
(Ostern 1611) einen "unrechtmäßigen Arrest". Wahrscheinlich
hat sich Compenius in der Folgezeit durch weitere Verzögerungen des Orgelbaus
in Kroppenstedt für diese unangemessene Festnahme gerächt.
Im Vertrauen darauf, dass nun der Orgelbauer die Arbeiten zügig vorantreiben
würde, schloss der Stadtrat im Januar 1604 schon
einen Vertrag mit dem "kunstreichen Maler Curt Gunnen aus Gröningen" für
das "Bemahlen an der Kirchen Orgel zu Croppenstedt" (Ausmalung des
Orgelprospekts). (14)
Unter anderem wurde festgelegt: "Die großen Haubtgesums (Haupt-Gesimse)
oben aufm Oberwergk, weil sie hoch und im dunckeln stehen, sollen sie weiß brunirt" werden,
auch "soll daß Schnitzwergk und die rahmen, so vor und bey den
Pfeiffen kommt im oberwergk und Rückpositiff, verguldett und etwas von
farben darein gebracht" werden. Doch der Orgelbau ruhte.
Der Stadtrat richtete deshalb am 3. Februar 1604 erneut eine Beschwerde an
die Domherren zu Halberstadt mit der Bemerkung, dass Compenius bisher "nur
wenig gemacht hat", so "hat er bis auf itzo noch nicht angefangen,
Pfeiffen zu gießen". Er habe aber bereits 237 Taler bekommen.
Deshalb "haben wir ihn uffs Radthaus forden lassen, um mit ihm gütlich
der Arbeit halber zu reden, so hat er uns wieder durch Antwort zurückbieten
lassen, er könne und wolle nicht kommen". Außerdem warf man
Compenius vor, er würde den Orgelbau in Sudenburg (Magdeburg-Sudenburg)
vorziehen; "unsere Arbeit aber muß zurücke stehen".
Vorrangiger
Orgelbau für den Herzog (1605-10)
Die Verzögerung des Orgelbaus in Kroppenstedt hatte einen triftigen Grund:
Esaias Compenius hatte sich auch um den Orgelbau im Schloss zu Hessen (südöstlich
von Wolfenbüttel) beworben; und im Jahre 1605 wurde er vom Herzog mit
diesem aufwändigen Orgelbau beauftragt.
Der damalige Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrich Julius (1564-1613),
gleichzeitig auch Landesherr und Bischof von Halberstadt, war nicht nur musik-
und kunstliebend, sondern auch sehr streng und machtbewusst; deshalb durfte
und wollte Compenius diesen Auftrag nicht ablehnen, zumal er den Titel "Organist
und fürstlicher Orgel- und Instrumentenmacher" erhalten hatte. Compenius
konnte also nun weder in Kroppenstedt noch in (Magdeburg-) Sudenburg weiterarbeiten.
Für Sudenburg gab es jedoch eine Lösung: Compenius teilte am 1. März
1606 dem Bürgermeister mit, er habe "wegen der endlichen Fertigung
der Sudenburger Orgelarbeit eine Vergleichung getroffen, also daß mein
lieber Bruder Henricus Compenius, des Ertzstifts Magdeburg Orgelbauer, solcher
Fertigung zu Ende bringen will".
In Kroppenstedt jedoch unterblieben die weiteren Orgelarbeiten. Widerwillig
musste der Stadtrat hinnehmen, dass des Meisters Dienste für den Landesherrn
vorrangig waren. Die Kroppenstedter baten deshalb Compenius dringend, er "möge
nunmehr dahin bedacht sein, nach Beendigung des Orgelbaus in Wolfenbüttel,
das Croppenstedter Orgelwerk ohne fernere Verzögerung vollends zu verfertigen".
Esaias hatte zwar begonnen, Platten für die Pfeifen zu gießen, aber
diese Arbeit war weitgehend unerledigt liegen geblieben. Nur drei Register
des Rückpositives waren seit 1606 spielbar.
Als nach zwei weiteren Jahren des Wartens in Kroppenstedt immer noch nichts
geschehen war, wandte sich am 14. September 1608 Bürgermeister Sonnenberg
in einem flehenden Ton an den Orgelbauer und hoffte, ihn dadurch zur weiteren
Arbeit bewegen. In diesem Brief heißt es: In "höchster Notdurft,
die unser Schreiben an Euch abgehen lassen" und mit "freundlicher
Pitt (Bitte), ihr als ein Verständiger", möget nach "langwierigen
Verzug selbsten bedenken, wann Ihr zu Wolffenbüttel mit dem selben Werk
fertig" seid, "Ihr unser Orgelwerk vor allen andern und ohne ferner
Verzögerung, unhinderlich vollends Verfertigen möget".
Compenius, der mit einer Antwort anscheinend nie lange warten ließ, entschuldigte
sich am 21. September 1608 beim Stadtrat und schrieb, er habe nicht geglaubt,
dass die Arbeit für den Fürsten sich so in die Länge ziehen
würde. Er sagte aber zu, nach diesem Orgelbau als Erstes die Arbeit in
Kroppenstedt wieder aufzunehmen.
Dieses Schreiben lautet:
Ersame, Erbare und wolweyße großgonstige Herren. Beneben Erbietung
meiner willigen Dienste kann einem erbaren Raht ich dienstlichen zur begerten
Antwort nicht bergen, daß ich zwar selber nicht gemeinet, daß sich
es midt dieser schweren Invention und Fl Arbeit also in die Länge erstrecken
sollen, daher den euere Kirchenorgelarbeidt nohtwendig hatt warten müßen.
Weil aber nuhn Gott lob dieses Wergd nahe zum ende gebracht und ohngefer umb
oder nach Martiny fertig wirdt, alß bitt ich dienstlichen noch ein wenigk
zugedulden mit dieser meiner nochmahlen Zusage, daß alßdann eure
arbeidt die erste, ob gott will, midt der ausfertigung sein soll, deßwegen
ich auch die besten gesellen an mir behalten thue. Und weil ich in Kurtzem
deßwegen nach Alsleben verreyßen werde, will bey einem Erbarn Raht
ich daselbst einkehren und underredung, wie es möge angegriffen werden,
dienstfreundlichen pflegen. Underdeßen Unß Sämbtlichen in
Gottes gnedigen schutz bevohlen.
Wolffenbüttel den 21 Septemb: Ao 1608 E E Raths
Dienstw Esaias Compenig.
Dieser Brief liest sich in einer der heutigen Ausdrucksweise angenäherten
Formulierung so:
Ehrwürdige, ehrbare, weise und gnädige Herren! Neben der Anbietung
meiner willigen Dienste kann ich dienstbereit dem ehrbaren (Stadt-)Rat als
begehrte Antwort nicht verbergen, dass ich selbst nicht geglaubt habe, dass
es sich mit dieser schwierigen Planung und fürstlichen (Orgel-)Arbeit
so in die Länge ziehen sollte, weshalb dann die Arbeit an eurer Kirchenorgel
hat warten müssen. Weil aber nun gottlob diese Arbeit fast zu Ende gebracht
wurde und ungefähr um oder nach Martini (11. November) fertig sein wird,
bitte ich dienstbereit, sich noch ein wenig zu gedulden, mit meiner nochmaligen
Zusage, dass alsdann die Arbeit bei euch, wenn Gott will, die erste sein wird,
die ich fertig stelle, weshalb ich dafür auch meine besten Gesellen behalten
werde. Weil ich in Kürze nach Alsleben reise, will ich bei eurem ehrbaren
Rat einkehren und dienstbereit besprechen, wie die Arbeit angegangen werden
kann. Unterdessen seien wir alle in Gottes gnädigen Schutz befohlen!
Wolffenbüttel, den 21. September Anno 1608
Eurem Ehrbaren Rat Dienstwilliger
Esaias Compenig
Doch man wartete in Kroppenstedt vergebens. Am 19. März 1609 erging erneut
ein Schreiben des Stadtrates an Compenius, in dem man nun heftiger darauf hinwies,
man "hette auch nicht vermeinett, das wir nach wie vor von euch also
lang bei der Nasen angefüret sein werden". Der Stadrat wies
darauf hin, man würde bereits von den Nachbarn "mit Schimpf,
Hohn und Spott" bedacht. Compenius möge umgehend "schriftlich
erkleren, ob Ihr solch Unser angefangenes Orgelwerck vollends auszufertigen
bedacht seid oder nicht. Und wan Und zu welcher Zeit." Falls er nicht
unverzüglich die Arbeiten wieder aufnehme, wolle man "zuläßig
Mittel vor die Hand nehmen". Man drohte sogar, einen anderen Orgelbauer
zu beauftragen, "denn die Ufhaltung (Verzögerung) nunmehr künftig
Ostern ganze fünf Jahr geworden".
Wieder antwortete Compenius schnell und versicherte im Brief vom 22. März
1609 dem Kroppenstedter Stadtrat, mit der Arbeit in Schloss Hessen bald fertig
zu sein und danach sofort nach Kroppenstedt zu kommen. Bereits an Ostern wolle
er dort das Weitere veranlassen. Er wies noch einmal darauf hin, dass "der
lange verzugk und dessen uhrsach allerdings nicht mein, sondern der wunderlichen
und Kunstlichen Invention und fürstlichen arbeidt zu zumessen" sei.
Er habe nicht gedacht, dass diese Tätigkeit so lange dauern würde.
Das Treffen am vorgesehenen Oster-Termin kam aber nicht zustande, woraufhin
sich der Kroppenstedter Rat nun an den Herzog wandte. Man schrieb: Trotz allem
Verständnis dafür, dass die Orgelarbeiten für den Fürsten
Vorrang hätten, ergehe die "unterthänigste" Bitte an den
Herzog, den Orgelbauer dringlich zu ermahnen, dass er "ohne Ufenthalt
und Verzögerung vor anderer Arbeit" das angefangene Werk in Kroppenstedt
endlich verfertigen möge.
In diesem Brief vom 2. Juli 1609 berichtete der Stadtrat auch über den
Stand der Arbeit in Kroppenstedt: Compenius habe "Structur (Gehäuse
und tragende Teile) und die meisten Pfeifen verfertiget, welche nun eine geraume
Zeit ufm Gerüste in der Kirche gelegen" seien; im Rückpositiv
seien drei Register eingebaut, die bereits gespielt werden könnten; das
Hauptwerk-Gehäuse stehe aber noch immer leer.
Die Antwort des Landesherrn liegt leider nicht vor. Statt dessen befindet sich
in den Akten des Kroppenstedter Stadtarchivs ein wohlwollendes Schreiben von
Michael Praetorius an den Stadtrat mit dem Datum vom 13. Februar 1610. Darin
versucht Praetorius, den wohl zurecht aufgebrachten Stadtrat zu beschwichtigen.
Er versichert: "... wie des mir mein Gefatter Compenius der Orgelbauer
berichtet, E(hrbare) Ehrw(ürdige) einen anderen Orgelbauer zur Verfertigung
des angefangenen Orgelwerks bei Euch zu Kroppenstedt kommen wollten; weill
ich dann nun anders nicht sagen kann, als das gedachter mein Gefatter noch
zur Zeit kein andere Arbeit angenommen (...) das, sobald er mit diesem fürstlichen
Werke alhier fertig, er euer Werk (in) die Hand nehmen will (...) ".
Am selben Tag, dem 13. Februar 1610, berichtet auch Compenius dem Stadtrat,
der Orgelbau für den Herzog im Schloss Hessen sei "nunmehr Gott sey
Lob und Dank, alhier bis auf ein Kleines fertig". Compenius entschuldigte
sich gleichzeitig dafür, dass er noch nicht nach Kroppenstedt gekommen
sei; der Fürst sei bei ihm gewesen, und er habe darüber die Fahrt
vergessen. Er hoffe aber, dass "aller gefaßter Unwille cassiret" (verschwindet)
und bat, "die kleine Zeit noch in Geduld zu stehen".
Die gehegte Hoffnung erfüllte sich aber nicht. Vielmehr musste der Kroppenstedter
Stadtrat in einem Schreiben des Compenius vom 14. Juni 1610 zur Kenntnis nehmen,
dass ein bösartiges Augenleiden ihn von der Arbeit abhalte. Er wolle aber "eine
fuhre" mit weiteren Orgelteilen "den negsten Mittwoch" nach
Kroppenstedt abgehen lassen.
Am 9. August 1610 machte Compenius den Kroppenstedtern abermals Hoffnung und
schrieb, er wolle seinen Sohn Adolph zur Mithilfe nach Kroppenstedt senden.
Außerdem bat er um einen weiteren Teilbetrag des ausbedungenen Geldes.
Der Rat bewilligte ihm noch einmal 40 Taler für das Stimmen der Orgel.
Doch der Orgelbau stockte weiter.
Vollendung
der Kroppenstedter Orgel (1611-13)
Mit einem Schreiben vom 28. Februar 1611 kündigte Compenius den Fortgang
des Orgelbaues in Kroppenstedt an und verpflichtete sich, die Orgel nun umgehend
weiter zu bauen und sie bis Pfingsten 1611 zu vollenden, zumal der Orgelbauer
Steffen Kuhagen aus Leipzig, der Bruder des Kroppenstedter Organisten, inzwischen
einiges an der Orgel gemacht hatte, worüber Compenius sehr erbost war.
Der Stadtrat stellte nun eine genaue Abrechnung auf. Unter anderem seien an
Compenius 250 Taler gezahlt worden; man sagte ihm zusätzlich weitere 40
Taler zu. Dann habe die Stadt 66 Taler während 36 Arbeitswochen an Steffen
Kuhagen gezahlt, ferner für Verköstigung im Ratskeller 35 Taler;
ein weiterer Geselle habe Bezahlung für 15 Wochen erhalten. An Fuhrlohn
für den Transport der Orgelteile seien "etzliche mal" 14 Taler
zu zahlen gewesen; dann sei zum Heizen "ein Fuder Brennholz" geliefert
worden. Auch die Materialkosten wurden auf vier Seiten genau aufgelistet.
Es scheint, dass Compenius auf die Bezahlung angewiesen war und der Stadtrat
somit einen gewissen Druck auf den Orgelbauer ausüben konnte. Denn in
einem Brief des Stadtrates über ihn heißt es: "Wenn man
ihm mit dem Gelde nicht alsbald, wenn er es begehret, willfährig ist,
bleibt er ziemlich verdrießlich".
Esaias Compenius nahm im März 1611 die Arbeiten in Kroppenstedt wieder
auf. Doch man ließ ihn nicht in Ruhe arbeiten, sondern hielt ihm immer
wieder seine angeblichen oder tatsächlichen Verzögerungen und Verfehlungen
vor. Deshalb legte Compenius seine Arbeit verärgert erneut nieder. In
einem siebenseitigen Brief an den Stadtrat beschwerte er sich Ostern 1611 über
die schlechte Behandlung; außerdem habe man ihm zustehende Gelder gekürzt
oder nicht ausgezahlt. Auch beschwerte er sich, dass man dem Orgelbauer Steffen
Kuhagen und zweien seiner Gesellen das Kostgeld für eine Woche gezahlt
und dies ins Ratsbuch eingetragen habe, was er, Compenius, als eine Ehrverletzung
ansehe. Er verlangte, dass Kuhagen das Geld zurückerstatte und dass der
entsprechende Eintrag im Ratsbuch gelöscht werde; er selbst werde dann
Kuhagen auszahlen. An die weitere Arbeit in Kroppenstedt werde er nur mit Erlaubnis
des Fürsten zurückkehren.
Nun schrieb der Stadtrat am 28. Juli 1612 an Compenius: Man habe wegen seiner
Arbeitsniederlegung beschlossen, "solches unser hohen Obrigkeit zu klagen
und zu verständigen. Die uns dann geraten, Euch zu vermelden, daß Ihr
Euch (...) categorisch sollet erclären, wann und welcher Tag Ihr uns unser
Werk, welches Ihr vor zehen Jahren angefangen, zu liefern gedenket." Falls
das nicht erfolgen sollte, würden sie keine Bedenken haben, die Orgel "durch
einen andern verfertigen zu laßen". Das geschah jedoch nicht.
Der wahrscheinlich um seinen Ruf besorgte Compenius war nun endlich gewillt,
die Arbeiten für Kroppenstedt fortzusetzen. Am 1. August 1612 teilte er
dem Stadtrat mit, die Lieferung der restlichen Orgelteile werde "auf den
Tag nächst künftigen Michaeli (29. September), so Gott will, verrichtet
werden, dazu Gott von beiden Teilen Glück und Gesundheit aus Gnaden verleihen
wolle". Man solle inzwischen aber Acht geben, dass kein Schaden am Werk
entstünde.
Compenius bezeichnete in diesem Brief den Kroppenstedter Organisten und dessen
Bruder, den Orgelbauer Steffen Kuhagen aus Leipzig, als seine "ehrendürstigen
Feinde", die ihn, seine Frau und seine Gesellen ehrlos genannt hätten.
Dem Organisten solle man deshalb während der Zeit des weiteren Orgelbaus
den Zutritt zur Orgel verweigern.
Nun nahm der Orgelbau rasch seinen Fortgang. Es wurden für das" angefangene
Orgelgebäude mit Malwerck (Bemalung) und andere Kosten" 331 Gulden
gezahlt. Bald konnte Compenius nach Kroppenstedt melden, dass in seiner Werkstatt
die Orgel fast fertig sei. Als "Tagk der Liefferung dießes Orgelwergks" nannte
er den 1. März 1613.
Am 6. März 1613 schrieb Compenius nach Kroppenstedt, dass er das "wergk
nunmehr durch verweysung göttlicher hilfe geendigtt und zum richtigen
genügigen stande gebracht" habe. Die Orgelteile wurden nach Kroppenstedt
transportiert und in der Kirche aufgestellt. Am 6. Mai 1613 waren Aufbau, Intonation
und Stimmung der Orgel vollendet.
Ob ein Orgel-Richtfest mit anschließendem Festessen, wie es damals üblich
war, stattfand, geht aus den vorliegenden Akten nicht hervor.
Compenius versicherte nach der Fertigstellung in seinem Brief an den Stadtrat
- es war dies sein letzter Brief nach Kroppenstedt - er wolle die Orgel "nicht
Jahr und Tag, sondern Zeit seines Lebens in gebräuchlichem Zustand erhalten".
Eine Manualkoppel habe er nicht eingebaut, das würde er aber nachholen,
wenn, wie geplant, der Kirchenraum vergrößert worden sei. Das ist
aber wegen des frühen Todes von Esaias Compenius (1617) unterblieben.
Beschreibung
der Compenius-Orgel in Kroppenstedt (15)
In Kroppenstedt hat Esaias Compenius sicherlich ein Meisterwerk geschaffen.
Die Orgel besaß 21 Register, verteilt in Hauptwerk, Rückpositiv
und Pedalwerk auf mechanischen Schleifladen. Die am 20. Juni 1603 vereinbarte
und sehr wahrscheinlich auch gebaute Disposition hatte folgende Register (notiert
in alter Schreibweise; Erläuterungen in Klammern):
Alß im Oberwergk (Hauptwerk)
Prinzipall von acht fußen
Grobgedackt von acht fußen
Octava von vier f.
Violen v. vier f.
Gemßquinta v. drey f.
Superoctava v. zwey f.
Hoehlflöet v. zwey f.
Kleingedackt v. zwey f.
Mixtur vier fächtigk (vierfach)
Tremulantt
Drey Spanbälge
Pedall Stimmen
Untersatz Baß v. sechzehn fuß
Nachthorn Baß v. zwei f.
Paurflöett Baß v. Einem f. (Bauernflöt-Bass)
Bosaunen Baß v. sechzehn f.
Ins Ruckpositiff
Principal Schwiegel von vier fußen
Quintadena v. acht f.
Rohrflöeten v. vier f.
Gemßhorne v. zwei f.
Spiz quinta v. anderthalb f.
Zimbeln zweifächtig (zweifach)
Trommeten v. acht f. (Trompete)
Geygen Regall v. vier f.
Thekla Schneider
führt in ihrer Veröffentlichung von 1937 die Viola 4´ im
Hauptwerk aus unbekannten Gründen nicht auf. Dieses Register
ist aber im Bauvertrag von 1603 enthalten.
Wie die Orgel damals geklungen hat, wissen wir nicht genau, da nur vier alte
Register erhalten sind. Aus der Disposition lässt sich aber der Klang
erahnen: Fünf hohe 2´-Register, dazu Spitzquinte, Mixtur und Zimbel
gaben dieser Orgel einen hellen, frischen Klang frühbarocker Prägung.
Zur Klanggestalt schreibt Thekla Schneider: "Hier heben sich vier
Registerarten scharf voneinander ab: Prinzipal, Gedackt, Gemshorn und Rohrflöte.
Jeder von ihnen gab Esaias eine ganz ausgeprägte Klangfarbe und eigene
Tongebung, sei es durch besonders gewählte Maße für die Mensuren,
sei es durch Verbesserung der Bauweise".
Der Spieltisch war in der Mitte des Hauptwerk-Unterbaus angeordnet und besaß zwei
Manualklaviaturen, eine Pedalklaviatur und die Registerzüge. Mit der oberen
Klaviatur wurden die Pfeifenreihen des Hauptwerkes angespielt, mit der unteren
die des Rückpositivs. Die Pedalklaviatur bedient die Bassregister. Der
Spieler saß mit Blick zum Hauptwerk; über einen Spiegel hatte er
Sicht zum Altar. An der Emporebrüstung in seinem Rücken stand das
II. Pfeifenwerk (deshalb Rückpositiv genannt). Diese Anordnung wurde jedoch
1859 geändert.
Das Gehäuse des Rückpositivs trägt auf dem Mittelturm das Wappen
des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel; auf dem rechten
Seitenturm des Rückpositivs (vom Kirchenraum aus gesehen) befindet sich
das Wappen der Stadt Kroppenstedt und auf dem linken das Wappen des Domkapitels
von Halberstadt.
Die Wappen an der Empore, die z. T. durch einen späteren Emporeumbau verdeckt
sind, beschreibt Gerhard Koggelmann in seinem Manuskript von 1997; es handelt
sich um die Wappen von elf Kroppenstedter Bürgerfamilien. (16)
Koppeln hatte Esaias Compenius für Kroppenstedt nicht gebaut; er wollte
sie später einfügen, was wegen seines frühen Todes jedoch nicht
geschehen konnte.
Hauptwerk und Pedalwerk besaßen je zwei Windladen als Schleifladen; eine
weitere Windlade war für das Rückpositiv vorhanden. Für den
nötigen Spielwind gab es drei Blasebälge, die von Hand bedient wurden.
Heute steht dafür ein Elektromotor zur Verfügung.
Das Stimmungssystem wird mitteltönig gewesen sein; man konnte also nicht
in allen Tonarten musizieren; in den möglichen Tonarten war aber der Klang
wegen der naturreinen großen Terzen besonders klar.
Orgelstandort ist die rückwärtige Empore. Das Orgelgehäuse ist
von Compenius laut Vertrag ebenfalls geliefert worden. Der Compenius-Prospekt
ist erhalten, wenn auch in veränderter Form.
Mads Kjersgaard hat 1998 eine Rekonstruktions-Zeichnung der ursprünglichen
Prospektanordnung erstellt. Demnach bestand die originale Orgelfassade im Hauptwerk
und Rückpositiv aus je fünf unterschiedlich großen, symmetrisch
angeordneten Pfeifenfeldern in folgender Anordnung:
Um ein höheres Pfeifenfeld in der Mitte gruppierten sich zu beiden Seiten
je ein Kleinfelder und ein mittelhohes Pfeifenfeld. Es ist dies eine Variante
der damals üblichen fünfteiligen Prospekt-Form. Renaissance-Ornamente
füllten die oberen Teile der Pfeifenfelder; weitere Ornamente verbinden
die Obergesimse der kleinen Felder mit dem mittleren Pfeifenturm. Am Rückpositiv
waren wahrscheinlich ursprünglich Flügeltüren zum Verschließen
der Prospektfelder angebracht. Kjersgaard schreibt: "Der Orgelprospekt
in der Kirche zu Kroppenstedt fällt auf durch seine Schönheit, seinen
reinen Stil, sowie seine wohlausgewogenen, aber zugleich dynamischen Proportionen.
Für einen nicht-orgelfachkundigen Betrachter (...) kommt der Prospekt
im heutigen Zustand leider nicht voll zur Geltung".
In seinem Gutachten schreibt Mads Kjersgaard: "Am 20. Oktober 1998 wurden
unter anderem die Pfeifenumfängen, Labiumbreiten und Aufschnitte vermessen,
sowie sämtliche originale Pfeifensignaturen faksimiliert und die jetzigen
Körperlängen notiert. Stichprobenweise sind auch Kernstärken,
Kernspaltenweiten, Fußhöhen, Deckelhöhen, Bartdimensionen und
Fußspitzenumfänge vermessen". Das ausführliche Gutachten
liegt als Manuskript im Stadtarchiv.
Thekla Schneider behauptet, Adolf Reubke habe 1859 bei seinem Neubau einige
alte Register aus der Magdeburger Domorgel in Kroppenstedt eingebaut. Mads
Kjersgaard kommt jedoch aufgrund seiner Untersuchungen und Forschungen zur
Ansicht, dass die erhaltenen alten Register tatsächlich Originale aus
der Kroppenstedter Orgel seien. Es handelt sich dabei um Gedackt 8´,
Singend Gedackt 8´ (ehemalige Quintadena), Rohrflöte 4´ und
wahrscheinlich auch Spitzflöte 2´(vermutlich ehemaliges Gemshorn
2´). "Es kommt logisch vor", führt Kjersgaard in seinem
Gutachten aus, "dass hier Pfeifen vorliegen, die tatsächlich
von Esaias Compenius für eben diese Kroppenstedter Orgel hergestellt sind".
Thekla Schneider beschreibt das Register Gedackt 8´ im Hauptwerk so: "C
bis H Tannenholz, geleimte Vorschläge, ab c Zinn, belederte Kapseln. 1/4
labiert und fast 1/3 aufgeschnitten, im Ton rund und eigenartig füllend.
Mensur: c 88, c´ 52, c2 30, c3 17". Dagegen gibt Kjersgaard aufgrund
seiner Untersuchungen andere Mensuren an und stellt fest: "Die bei Thekla
Schneider angegebenen Durchmessermensuren der C-Pfeifen (die wohl aus einem
von Schneider nicht angegeben sachverständigengutachten stammen) stimmen
eigenartigerweise gar nicht mit unseren neuen Messungen überein".
Er nennt folgende Mensuren für Gedackt 8´: c = 81,5; c´ =
47; c´´ = 27; b´´ = 16,5.
Thekla Schneider meint zum Gedackt 8´ (zur alten Quintadena) im II. Werk:
" Ton eigenartig färbend und gläsern bizarr quintierend".
Kjersgaard hebt dazu hervor: "Die Machart ist identisch mit dem oben beschriebenen
Gedackt 8´, und es ist somit gut möglich, dass auch dieses Register
aus der Compenius-Vorgängerorgel der Kroppenstedter Kirche stammt, und
zwar aus dem Rückpositiv".
Schneider charakterisiert die Rohrflöte als "eigenartigen hellfüllenden
Ton von ganz besonderer Qualität." Auch dazu geben Schneider
und Kjersgaard Mensuren an. Kjersgaard schreibt: "Die Rohrflöte
ist nicht ein einheitliches
Register, sondern wurde von Reubke aus verschiedenen alten Pfeifenbeständen
zusammengestellt".
Über die Veränderungen
an diesem historischen Instrument geben die
folgenden Abschnitte Auskunft.
Aus
dem Buch "Die Compenius-Orgel zu Kroppenstedt" von
Gottfried Rehm |